Reale Vorbilder

Die erste große Liebe fand ich in dem Jahr, in dem sich unsere Wege wieder trennten. Der Junge hatte Haare in der Farbe von Sonnenstrahlen, die durch ein Milchglasfenster fallen, feine Sommersprossen und ein unwiderstehliches Lächeln. Doch es war sein Wesen, in das ich mich verliebt hatte; in unbändige Lebensfreude, Humor und Freundlichkeit. Zu dem Zeitpunkt besaß mein Mitschüler die Eigenschaften, an denen es mir mangelte: Extravertiertheit, Eloquenz und Selbstbewusstsein. Kein Wunder also, dass ich mit zwei weiteren Grundschülerinnen um seine Aufmerksamkeit buhlte … und immer den Kürzeren zog.

Das erste Element erwacht schrieb ich nur wegen Patrick. Dank Patrick als weiteren Protagonisten ermöglichte ich meiner Hauptfigur Angelina im letzten Band in die Rolle der Antagonistin zu rutschen. Wenn ich allerdings einen Schritt weitergehe, so erkenne ich, dass es Patrick ohne den Jungen aus meiner Grundschulklasse wohl nie gegeben hätte.

Ab und zu kommt es vor, dass Menschen aus der Realität unseren Figuren als Vorbilder dienen. In ihnen sehen wir etwas, was uns fasziniert und inspiriert oder eher abstößt. Manchmal genügt ein Augenblick mit einer Person, um sie in eine fiktive Geschichte einzubetten. Es ist die Art, wie sie redet und was sie zu sagen hat. Es sind die Taten, die ihr Respekt verschaffen, oder solche, die dazu verleiten, sich zu fragen, welche Gründe die Person veranlasst haben, das zu tun, was sie getan hat.
Hin und wieder genügen bereits energische Gesten oder schrille Outfits, um das Gedankenkarussell in Gang zu setzen … und schon möchten wir über diese Person schreiben. Wir lassen sie in unserem Mikrokosmos agieren, stellen sie auf die Probe, lassen sie suchen und finden.

Ärger naht …


Integriert man reale Vorbilder in die eigenen Kurzgeschichten oder Romane, und diese erkennen sich wieder, so können dem Autor ernste Probleme drohen. Vielleicht landet der Autor eines Tages vor Gericht. Hier prallen Kunstfreiheit und Verletzung der Persönlichkeitsrechte aufeinander, und das Feuer entfacht.

Aber warum wurde die amerikanische Schriftstellerin Anna Todd nicht verklagt, obwohl sie in ihrer After-Reihe den Sänger Harry Styles zum Protagonisten machte? (Proteste gab es zwar, doch niemand wollte sie vor Gericht sehen.) – Nun, zum einen nannte sie ihren Protagonisten in der Publikation anders und schickte ihn auf die Washington Central University. Zum anderen schrieb sie über einen jungen Mann, dessen Charakter möglicherweise nur in groben Zügen dem des Sängers entspricht. Schließlich kennt sie Harry Styles nur aus den Medien. Persönliche Details aus seinem Leben wurden nicht verraten, da sie vermutlich so viel über ihn weiß, wie viele andere Fans auch. Sie hat also mit der, ihrer Fantasie entsprungenen, Vorstellung der real existierenden Person gearbeitet.

Reale Vorbilder verfremdet


Ich habe für mich festgestellt, dass fast nur diejenigen meiner Manuskripte als veröffentlichungswürdig erachtet worden sind, die eine Art Fan-Fiction darstellen. In jedem bisher erschienen Roman habe ich reale Vorbilder verfremdet und sie handeln lassen. Ich bin all diesen Menschen dankbar, die in meinen Geschichten auftauchen, dass sich unsere Wege gekreuzt haben, oder dass ich sie im Fernsehen entdeckt habe. Sie haben mich verzaubert, sie haben mich inspiriert und meine Fantasie angeregt. Ohne sie hätte ich das eine oder andere Manuskript wohl nie begonnen.

Auch der nächste Roman, den ich irgendwann schreiben möchte, wird reale Vorbilder enthalten. Dieses Mal allerdings nicht nur ein, sondern gleich drei.

Aber pssst, nicht weitersagen! 😉

Posted on: 7. Oktober 2020Carolina

2 Gedanken zu „Reale Vorbilder

  1. Hallöchen!

    Mich ersönlich inspirieren eher fiktionale Vorbilder! Zwar ist es schon vorgekommen, dass ich z.B. eine Frisur oder eine Angewohnheit von einem Bekannten ausgeliehen habe, aber viel, viel öfter erwische ich mich dabei, wie ich mich unbewusst an anderen fiktionalen Charakteren orientiere. Was natürlich ärgerlich ist, weil ich nicht plagiieren, sondern meinen eigenen Charakter erschaffen will – aber gerade in der Phase des Kennenlernens passiert es mir trotzdem oft genug. 🙁

    Aus diesem Grund konsumiere ich während meiner Schreibphasen inzwischen kaum Bücher, Filme etc. Es ist so leicht, sich von ihnen beeinflussen zu lassen; von ihrem (Schreib-)Stil und ihren Handlungselementen. Von ihren Charakteren. Kam das bei dir auch schon mal vor? Dass du z.B. ein Buch last und dann gemerkt hast, dass es deine eigene Geschichte beeinflusst? Mich würde deine Meinung dazu sehr interessieren!

    Liebe Grüße,
    Tatjana

  2. Hallo Tatjana,

    dass fiktionale Charaktere einen Autor inspirieren können, kann ich sehr gut nachvollziehen. Beim Lesen bekommen sie in unserer Fantasie Gestalt, atmen, reden und handeln. Manchmal begleiten sie uns durch den Tag, manchmal begegnen sie uns vielleicht sogar in unseren Träumen. Ab und zu wollen wir mit ihnen in der Hauptrolle Geschichten weiterspinnen, die nur angedeutet wurden und die unser Gedankenkarussell in Gang gesetzt haben. Doch hin und wieder beeinflussen sie uns beim kreativen Schaffen so sehr, dass wir uns von ihnen abschotten müssen. Deshalb verstehe ich sehr gut, dass Du während der Schreibphasen kaum oder wenig liest oder fernsiehst.

    Vielen Dank für die interessante Frage!

    Was meine letzte Urban-Fantasy-Trilogie angeht, so hat mich nicht nur eine reale Person inspiriert. Ich hatte ein Jahr zuvor die „Vampire-Academy“-Reihe von Richelle Mead beendet und trug ihre freche, selbstbewusste Protagonistin Rose Hathaway wohl immer noch im Kopf, als ich anfing zu schreiben. Damals war es mir nicht bewusst, heute sehe ich es jedoch klarer. „Stadtrivalen“ sollte keine Art Fanfiction werden. Dafür unterscheiden sich die Protagonistinnen doch zu sehr. Aber ich kann nicht leugnen, dass Rose und Lia sich einige Kerneigenschaften teilen, für die ich Rose so bewundert habe.

    Herzliche Grüße

    Carolina

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