Romanfiguren

Der Erfolg eines Romans fußt auf seinen Figuren. Der Begriff „Erfolg“ bezieht sich nicht primär auf den Verkauf, sondern ebenso auf die Fangemeinde. Glaubwürdige, dreidimensionale Romanfiguren zu kreieren ist nicht so einfach. Aber einige Punkte helfen, eine gute Basis für einen gelungenen Roman zu schaffen.

Sympathie


Romanfiguren müssen nicht zwingend sympathisch sein. Doch der Blick auf die Bestsellerlisten der vergangenen Jahre zeigt, dass Sympathie ein wichtiger Faktor ist. Eigenschaften wie Empathie, Optimismus, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit lassen literarische Figuren in unseren Augen sympathisch erscheinen. Doch nicht nur tapfere Männer und Frauen, die ihr Leben für andere riskieren, gewinnen die Herzen der Leser. Der Protagonist mag vielleicht fürchterlich geizig sein (was nicht gerade sympathisch ist), doch er engagiert sich ehrenamtlich in einem Obdachlosenheim. Auch packt er mit an, wenn Freunde helfende Hände brauchen, und baut aus alten Schränken einen Sitzhocker oder einen Beistelltisch, statt Geld für einen neuen auszugeben.

Stärken und Schwächen sind für eine gelungene Figurenzeichnung unabkömmlich. Niemand interessiert sich für perfekte Protagonisten, die ohne Schaden von einer Mission zur nächsten hetzen. Sie wirken einfach nicht menschlich.

Der talentierte, in sich gekehrte Pianist kann mit Menschen nicht so gut. Nur durch die Musik transportiert er seine Emotionen. Die thoughe Kriegerin löst Konflikte mit Monstern, indem sie sie umbringt. Bei Problemen mit Mitschülern muss sie auf andere Lösungsstrategien zurückgreifen, was sie nie richtig gelernt hat.

Identifikation mit den Romanfiguren


Kannst Du Dich in Max, den Sohn eines schwerreichen Magnaten, hineinversetzen? Also ich nicht. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man sich morgens zwischen einem Aston-Martin- oder einem Chevrolet-Corvette-Modell entscheiden soll. Ich habe auch keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man in seiner Extravaganz kurzfristig in ein Fünf-Sterne-Hotel flüchtet, weil die hauseigene Köchin den Eltern zuliebe Lamm zubereitet hat und es im Penthouse danach riecht. Mit dem Millionärssohn Max, dem Protagonisten eines Romans, kann ich mich also nicht identifizieren. Sein Leben ist mir fremd – wie vielen anderen Menschen auch. Zwischen uns und der literarischen Figur besteht also eine Distanz.

Diese wird jedoch reduziert, wenn man Max Probleme und Herausforderungen aufhalst, wie wir sie kennen. Er könnte darunter leiden, dass seine Eltern nie Zeit für ihn haben, oder dass er in den Kreisen der Reichen keine wahren Freunde findet. Selbst diejenigen von uns, die es so nicht kennen, können nachvollziehen, wie es ist, nach Anerkennung, Liebe und wahrer Freundschaft zu streben.

Erscheint uns Max authentisch, können wir mit ihm mitfühlen und mögen wir ihn als Figur, folgen wir ihm gern auf seiner Reise. Plötzlich rückt uns der Protagonist näher, obwohl er kaum Gemeinsamkeiten mit uns hat. Und wir wünschen uns, dass er es schafft, seine Einsamkeit zu bekämpfen.

Ziele der Romanfiguren


Niemand will etwas über langweilige Protagonisten lesen, die wie Quallen im Wasser treiben. Interessant werden diese nur, wenn sie ein Ziel vor Augen haben. Eine Figur, die unbedingt etwas erreichen will, was sie viel Arbeit und Mühe kosten wird, erregt unsere Aufmerksamkeit. Wir sehen ihr gern dabei zu, wie sie Wege einschlägt, Rückschläge erlebt und bewältigt und schließlich das erreicht, wovon sie schon lange geträumt hat. Es ist nicht notwendig, dass sich die Romanfiguren dem Oberschurken stellen, der die Welt zerstören will. Sie müssen auch nicht eine Verschwörungstheorie mitbekommen und diese aufklären, sondern können die Leser auch mit ihren kleinen Zielen bei Laune halten.

Wir möchten erfahren, ob Peter es beispielsweise schafft, die Firma nach dem Tod seines Vaters zu leiten. Wir folgen Lilly auf ihrem Weg, zu genesen und zurück ins Leben zu finden, oder Verena, die die Fehler ihrer Vergangenheit auszumerzen versucht. Uns geht es dabei um Erfolge und Misserfolge der Romanfiguren, die trotz Hindernissen niemals aufgeben. Sie müssen die Handlung aktiv vorantreiben. Der starke Wille, etwas zu erreichen, wird sie dazu verleiten, regelmäßig gegen den Strom des Lebens zu schwimmen.

Motiv


Wieso liegt Peter, dem Protagonisten unseres Romans, so viel an der Firma, deren Leitung ihm der Vater übertragen hat? Dass Peter sonst keine Anstellung findet, wäre ein Motiv – allerdings kein gutes. Vielleicht liegt es daran, dass Peter als Kind zahlreiche Mitarbeiter kennengelernt hat, sie schätzt und weiß, wie viel ihnen der Job bedeutet? Vielleicht auch daran, dass er von Kindesbeinen an gern zugesehen hat, wie der Prototyp der nächsten neuen, mechanischen Uhr liebevoll hergestellt wurde? Oder, weil er schon lange sein Wissen und seine Ideen in die Produktion einbringen wollte.

Romanfiguren brauchen Gründe, um das zu tun, was sie tun. Brenda aus New York arbeitet tagsüber in einem kleinen Büro und abends in einem Restaurant nicht aus Geldgier, sondern, um sich und ihren 14-jährigen Sohn durchzubringen. Mirko reist nicht aus Langeweile durch Europa und hangelt sich von Job zu Job, sondern folgt der Reiseroute seiner Eltern, die bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Nur so fühlt er sich ihnen nahe. David investiert seine komplette Freizeit in die Entwicklung eines neuen Produkts. Nicht nur hat er eine Marktlücke erkannt, er möchte es allen zeigen, die ihn damals in der Schule verspottet haben.

Das waren bisher die „Basics“. Da das Thema allerdings etwas umfangreich ist, geht es bald weiter mit einem weiteren Unterpunkt.

Posted on: 4. August 2020Carolina

4 Gedanken zu „Romanfiguren

  1. Hallöchen!

    Insgesamt hast du die wichtigsten Eigenschaften, die eine Romanfigur haben sollte, gut zusammengefasst, auch wenn ich insgesamt der Meinung bin, dass eine Figur nicht ALLE Punkte erfüllen muss, um eine gute Figur zu sein.

    Allein, was den Sympathiefaktor betrifft, gibt es ja zahlreiche Figuren, die unheimlich beliebt sind, weil es sich bei ihnen um gute Charaktere handelt, nicht zwingend um gute Menschen. Es kommt meiner Meinung nach auf Komplexität an; die Charaktere dürfen ruhig mehr negative als positive Charaktereigenschaften haben und damit eher auf der unsympathischen Skala sein, solange sie nicht total in eine Richtung pendeln. Zudem gibt es ja auch noch Charakterentwicklung 😉

    Auch, was die Identifikation anbelangt, sehe ich es zwar gerne, wenn Charaktere mit Problemen konfrontiert werden, mit denen ich vertraut bin, aber sogar noch mehr, wenn man mir unbekannte Probleme identifizierbar macht. Zum Beispiel habe ich keinerlei Erfahrung mit Romanzen oder dergleichen, kann mich aber hervorragend mit Charakteren identifizieren, die sich mit ihnen plagen, wenn diese Probleme anschaulich präsentiert sind 🙂

    Zu Zielen hätte ich eine Frage … kann ein Protagonist deiner Meinung nach auch mehrere wichtige Ziele haben? Oft klingt es so, als bräuchte der Protagonist nur ein großes Ziel wie die Welt retten, jemandes Herz erobern oder einen MacGuffin finden, aber ist es nicht realistischer, wenn er neben diesem großen Ziel noch andere hat? Beziehungsweise allgemein mehrere Ziele, die ihm ungefähr gleich wichtig sind?

    Mit Motiven habe ich immer so meine liebe Mühe *lacht* Das „Warum?“ ist imho die wichtigste Frage, die man sich stellen kann, für mich aber auch die Frage, die am schwierigsten zu beantworten ist. Vor allem, weil ich oft zweifle, inwiefern die Motive meiner Charaktere glaubwürdig bzw. stark genug sind. Um es mit einem überspitzten Beispiel zu illustrieren: Reicht es, dass die gesamte Einrichtung eines Charakters blau ist, weil es seine Lieblingsfarbe ist oder sollte er in der Vergangenheit eine tiefe Verbindung zum Meer gehabt haben, die er durch die blaue Farbe aufrecht erhalten will? Außerdem: MUSS man seinen Charakteren „gute“ Motive geben? Klar ist jemand, der aus purem Egoismus handelt, nicht unbedingt sympathisch, dafür vielleicht aber menschlicher. Vielleicht hat er mehrere Motive oder tut etwas aus einer bestimmten Motivation heraus und stellt dann fest, dass seine Motivation sich geändert hat. Ich finde es wirklich schwer, herauszufinden, was meine Charaktere antreibt, weil ich mir nie sicher bin, wie hoch ich das Maß setzen soll …

    Insgesamt ein sehr hilfreicher Blogpost, der einige Fragen aufgeworfen und einen guten Überblick über Romanfiguren gegeben hat 🙂

    Liebe Grüße!

  2. Liebe Tatjana,

    vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar!

    Was die Sympathie angeht, so hast Du natürlich recht: Es gibt durchaus weniger sympathische Figuren, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Mit dieser Spezies möchte ich mich später noch mal beschäftigen und ein paar Absätze verfassen. Interessant zu beobachten sind solche Romanfiguren allemal. Wir Leser wollen sehen, ob sie ihre negativen Eigenschaften reduzieren können, sofern sie danach streben, oder es für die Charakterentwicklung förderlich ist. Wir wollen sehen, ob sie diese Eigenschaften vielleicht in der Intensität sogar weiterhin kultivieren müssen, weil sie auf diese Weise der Allgemeinheit mehr nutzen, als andere Zeitgenossen.

    Ich finde, irgendwo spielen persönliche Vorlieben eine große Rolle, was Romanfiguren angeht. Mir sind sympathische Figuren lieber als unsympathische, auch wenn das Entwicklungspotential geringer sein könnte, als bei den letztgenannten. Ich denke gerade an einen liebenswerten Chaoten – eine Nebenfigur – aus einem Roman. Er ist zerstreut, schläft gern lang und ist durch und durch schludrig. Seine Kollektionen werden, flüchtig mit Sicherheitsnadeln versehen, mit kaschierten Rissen etc. präsentiert. Doch während es ihm an Perfektion mangelt, punktet er mit Charme und Einfallsreichtum.

    „Zum Beispiel habe ich keinerlei Erfahrung mit Romanzen oder dergleichen, kann mich aber hervorragend mit Charakteren identifizieren, die sich mit ihnen plagen, wenn diese Probleme anschaulich präsentiert sind.“

    Wie wahr!
    Diesen Punkt wollte ich auch anbringen. Allerdings fand ich, dass er eher das Handwerk beschreibt und thematisch daher nicht ganz in dieses Kapitel passt. Darunter verstehe ich folgendes: Anschaulich schreiben, alle Sinne ansprechen und die Figur glaubhaft agieren lassen. So können sich die Leser besser in eine Figur hineinfühlen.

    Was Ziele angeht, stimmt es natürlich: Jeder Protagonist verfolgt mehr als nur ein Ziel. Er möchte vielleicht – um es eine Nummer kleiner zu machen – unbedingt ein Hotel renovieren und wiedereröffnen. Gleichzeitig will er seine kaufmännische Weiterbildung abschließen und das Herz der hübschen Nachbarin gewinnen. Das Projekt stellt jedoch sein wichtigstes Ziel dar. Dabei kann es durchaus passieren, dass der Protagonist nach erfolgreicher Renovierung feststellt, dass er die ganze Zeit über im Grunde ein völlig anderes Ziel verfolgt hat, nämlich, sich mit seinem Bruder auszusöhnen. Denn der Protagonist war sich von Anfang an sicher, dass der Bruder ihn unterstützen wird.

    „Ich finde es wirklich schwer, herauszufinden, was meine Charaktere antreibt, weil ich mir nie sicher bin, wie hoch ich das Maß setzen soll …“

    Nun ja, Motive spielen eine wichtige Rolle, weil sie erklären, warum ein Protagonist ein Ziel verfolgt und wieso er nicht anders kann, als danach zu streben. Warum sucht Heike jahrelang nach einem antiken Buch? Weshalb fängt Klaus mit Ende vierzig eine neue Ausbildung an? Wieso riskiert Jonas regelmäßig sein Leben? (Besonders Letzterer braucht einen triftigen Grund, die Gefahr zu suchen. Andernfalls erscheint er den Lesern unglaubwürdig.)

    Gute, glaubwürdige Motivationen wirken wie Zündstoff. Sie treiben Romanfiguren an und die Handlung voran.

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